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»Die Natur wird es überleben, wir nicht«

Mit dem Biologen Professor Dr. Michael Rademacher konnte das Prot. Dekanat einen äußerst versierten Referenten zum Thema Artenvielfalt gewinnen. Professor Rademacher ist seit fünfunddreißig Jahren im Bereich Natur- und Umweltschutz tätig. Er war bei der Renaturierung zerstörter Landschaften weltweit tätig und bildet derzeit Umwelt- und Klimaschützer an der Hochschule Bingen aus. Professor Rademacher war am 31. August 2021 im Dathenushaus zu Gast.

Michael Rademacher erinnerte zu Beginn seines Vortrags an »Der stumme Frühling«, ein Buch der amerikanischen Biologin Rachel Carson, das letztlich zum Verbot von DDT geführt hatte. Auch sechzig Jahre später, so Rademacher, hätte die Politik noch nichts dazugelernt. Dabei gibt es durchaus Erfolgsgeschichten für den Artenschutz: Der Wanderfalkenbestand befand sich 1972 an einem absoluten Tiefpunkt, erholte sich aber nach dem Verbot von DDT. Am Wanderfalkenbestand, so Rademacher, sei das erste Mal erkannt worden, daß Tier und Pflanzen Indikatoren für ein intaktes Ökosystem seien.

Über zwei Millionen Tier- und Pflanzenarten gebe es auf der Welt, etwa siebzig Prozent davon seien Insekten, 25 Prozent Pflanzen, von denen 480.000 Arten bekannt seien. Zusammen stellen sie ein vernetztes System dar, von dem wir nicht wüßten, wann es zusammenbrechen würde. Oder, anders gesagt: Wenn es den Insekten schlecht gehe, gehe es auch den Pflanzen schlecht und damit uns als Menschen.

Gradmesser für die Gefährdung der Artenvielfalt sei die Rote Liste. Von den 8.000 in Deutschland dafür untersuchten Arten seien fünfzig Prozent bedroht. Damit sei das Artensterben tausendfach höher, als es natürlicherweise über die Evolution zu erwarten wäre. Derartige Massensterben hätte es in der Erdgeschichte bisher fünfmal gegeben, zuletzt vor 65 Millionen Jahren, als gemeinsam mit den Dinosauriern fünfundsiebzig Prozent der Arten ausgestorben wären. Nicht umsonst, so Rademacher, werde die Gegenwart als Anthropozän bezeichnet, eine beispiellose Umgestaltung der Erde durch die Menschheit. »Die Natur wird es überleben«, sagt Rademacher, »wir werden es nicht überleben«.

Interessant zu hören war, daß die Artenvielfalt in Rheinland-Pfalz auf den Ackerbau zurückgeht. Wo zunächst hauptsächlich Wälder waren, sind es heute 53 Prozent Acker- und Grünland, 30 Prozent Wald und 13 Prozent Siedlungs- und Verkehrsflächen. Acker- und Grünland waren die Voraussetzungen dafür, daß sich neue Arten ausbreiten konnten. Seit etwa 150 Jahren aber geht die Artenvielfalt in der offenen Agrarlandschaft zurück, hauptsächlich durch die Intensivierung der Landwirtschaft. Wo es zum Beispiel in den Ackerrandbereichen keine wilden Möhren mehr gebe, so Rademacher, gebe es auch bestimmte Tagfalter nicht mehr. Die Verlierer seien spezialisierte Arten, die auf bestimmte Pflanzen als Nahrungsquelle oder auf bestimmte Wärmeinseln angewiesen seien.

Das Insektensterben hat weitreichende Folgen: Die Insekten – 40.000 Arten gibt es in Deutschland – bestäuben die allermeisten Kultursorten, beseitigen Abgestorbenes, sind Nahrung und sorgen für die Verbreitung von Pflanzenarten. Und wo die Insekten als Nahrungsquelle fehlen, verschwinden die Vögel – bei den Feldvögeln, so Rademacher, gebe es einen dramatischen Rückgang. So gebe es vom Kiebitz in Rheinland-Pfalz nur noch etwa 100 – 200 Brutpaare – von einstmals Zentausenden von Vögeln. Für die Vogelarten, so Rademacher, sei es entscheidend, daß die Vielfalt wieder hergestellt wird und es wieder ein Nebeneinander von intensiv und extensiv genutzten Flächen gebe.

Dafür, daß jede*r etwas gegen das Artensterben tun könne, nannte Michael Rademacher etliche Beispiele. Ein Vorschlag für Frankenthal war, es dem Freiburger Beispiel gleichzutun und Patenschaften für Baumscheiben, die freien Flächen um Bäume herum, zu vergeben. Diese Flächen seien »eh da« und könnten von Bürger*innen mit Wildblumen bepflanzt werden.

Ganz viel könnten wir machen, so Rademacher, wenn wir unsere Gärten naturnah anlegen würden. Ein Beispiel waren Wildbienenhotels, die man möglichst selbst machen sollte. Sie sollten stets nach Süden hin ausgerichtet und bedacht sein. 650 Wildbienenarten gebe es in Deutschland, die man damit unterstützen könnte. Auch bei Vögel-Nistkästen könnte man Fehler machen und sollte am besten welche aus Holzbeton nehmen.

Auch Bilder von Fassadenröhren für Fledermäuse zeigte Michael Rademacher. So könnte dem entgegnet werden, daß Fledermäuse aufgrund der energetischen Sanierung von Häusern keinen Zugang zu den Dachstühlen mehr hätten.

Für den Artenschutz im Siedlungsbereich faßte Michael Rademacher zusammen:

  • Wildblumenmischungen aus regionalem Saatgut
  • Einheimische Gehölze wie alte Obstsorten oder Weiden als Pollenspender
  • Dachbegrünung mit trockenresistenten Pflanzenarten
  • Steinhaufen, Trockenmauern und Kompost
  • Naturnaher Gartenteich
  • Keine Pestizide, kein Schneckenkorn
  • Keine Mähroboter, denn die derzeit verbreiteten bringen Igel um
  • Gartenzäune durchlässig machen

Das Fazit nach dem Vortrag von Professor Dr. Rademacher: Artenschutz ist machbar, wir haben eine Chance, den Artenschwund zu stoppen. Und ein Wunsch am Schluß: Auch die Artenkenner, so Rademacher, sterben aus. Die Artenvielfalt kennen und bestimmen zu können könnte ein Ziel nicht nur für die Schule, sondern auch für die Erwachsenenbildung sein.

Foto: Holger Gröschl, CC BY-SA 2.0 DE https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/de/deed.en, via Wikimedia Commons – das Foto zeigt den Rapsweißling, einen Tagfalter

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